Samstag, 15. Januar 2011

Tiere haben eine Seele! Ein Erfahrungsbericht von Gabriele Vierzig-Rostek


Falk, 19.04.1973

Falk war ein schöner großer Warmblut-Fuchswallach. Als ich ihn näher kennen lernte, war er bereits 17 Jahre alt. Er hatte viele Jahre Jagdreiterei im „springenden Feld“ und sogar einige Military-Turniere hinter sich. Falk hat mich nach einer langen Pferdepause (wegen meiner beiden Kinder) wieder ans Reiten gebracht. Durch ihn habe ich wieder mehr Verbindung zur Natur und zu den Elementen bekommen, habe ich wieder mehr persönliche Freiheit gespürt, die mir durch die Versorgung von zwei kleinen Kindern abhanden gekommen war…

Er war sehr gut geritten, leicht an den Hilfen und butterweich zu sitzen, eine wahre Erholung. Ich bin zwei Jahre lang jeden Abend zu einer Gruppen-Reitstunde in den Stall gefahren und konnte die ganze Stunde bequem ohne Bügel teilnehmen. Das ist nicht die Regel!
Nach und nach wurde er unzufrieden, weil er eine bereits sichtbare Veränderung am Linken Hüftgelenk hatte und das ganze linke Bein war nicht mehr optimal in Ordnung. Bei beginnender Arthrose bewegt man das Tier aber weiter, die Versteifung schreitet dann langsamer fort. Nur wurde er zunehmend unbequemer zu sitzen und leichter irritiert durch die Schmerzen. Ich habe nur noch Spazierritte im Gelände gemacht.
Er war jetzt 22 Jahre alt und ging noch gerne hinaus, aber für Dressurstunden, und seien sie auch noch so wenig anspruchsvoll, war er nicht mehr geignet. Wir sind noch zweimal nach Norderney gefahren, als ich schon ein neues Pferd hatte, nach dem letzten Rücktransport fiel er aus dem Hänger... Wir haben ihn dann als "Rentner" gehalten und ihm das Gnadenbrot ermöglicht.

Falk war eigentlich das Pferd meines Mannes, der aus Zeitmangel und aus Altersgründen mit dem Reitsport aufgehört hatte. Da ich für mich einen neuen Gefährten gefunden hatte, den ich ja auch täglich bewegen musste, und das kleine Pferd unserer Tochter manchmal ebenfalls auf mir lastete, stellten wir Falk nach weiteren zwei Jahren in einen Stall auf der gegenüberliegenden Straßenseite, wo er vom Stallbesitzer selbst täglich auf die Weide gelassen wurde, zusammen mit anderen "Rentnerpferden".
Dort lebte er sichtlich auf, brachte die Herde unter seine Kontrolle und fühlte sich großartig. Für einige Monate… Dann kamen einige Neuzugänge in den Stall, die noch etwas vitaler waren als er und nun mussten Gruppen gebildet werden. Er hatte eine Partnerin gefunden und zu den beiden wurde ein weiteres Pärchen auf die Weide gestellt. Das war eine sehr schöne Zeit für ihn, zwei Wallache und zwei Stuten in ähnlichem Alter täglich zusammen draußen. Einen Sommer lang! Ich konnte das sehen, weil meine anderen beiden täglich auf der Weide gegenüber standen. Sie hatten also weiter Kontakt, aber Falk war seine Stute viel wichtiger geworden… der alte Filou!

Im Spätsommer kam es dann zu der sehr ärgerlichen und traurigen Katastrophe:
An einem sonnigen Sonntagnachmittag waren die vier wieder auf der Weide. Unglücklicherweise war der Stallbesitzer abwesend und der Vertreter saß vor einem tragbaren Fernseher und schaute irgendeine Sportveranstaltung, anstatt die Aufsicht zu führen!

Die Besitzerin der Stute des anderen Wallachs hatte nämlich jemanden beauftragt, sie am Sonntag zu reiten, weil sie selbst keine Zeit hatte und diese wollte mit einer Freundin zusammen ausreiten. Sie hatten sich genau zu der Zeit verabredet, als die vier auf der Weide waren.
Wäre der Stallbesitzer vor Ort gewesen, hätte diese Frau die Stute niemals von der Weide nehmen und die anderen drei dort zurücklassen dürfen. Das aber ist passiert.
Die Folge war dramatisch: der andere Wallach machte sich daran, von unserem Falk die Stute weg zu treiben, dieser versuchte, sich in den Weg zu stellen und sie zu beschützen. Aber er war mittlerweile 27 Jahre alt und nicht mehr sehr gut zu Fuß, er bezog kräftige Prügel, wurde rundum verwundet und floh in die Stallgasse, dabei hat er den Zaun zerrissen. Das alles habe ich erst hinterher rekonstruieren können, denn ich kam auf die Weide mit meinem Pferd und sah den kaputten Zaun und dass Falk nicht dort stand, wo er sein sollte...

Ich war sehr böse auf die Frau, die die Ursache gewesen war, sie wurde sogar noch anmaßend und meinte, sie habe einen Auftrag gehabt, den sie natürlich befolgt hätte, mit den anderen Tieren hätte sie nichts zu tun, das sei nicht ihre Schuld, wenn die sich „die Köpfe einschlugen“.

Fakt ist: Falk erlitt einen zentralen „Selbswert-Einbruch-Konflikt“ (Dr. G.R.Hamer). Er verlor alle Lebensfreude und „seine“ Stute ebenfalls. Beide standen danach nur noch zu zweit auf der Weide, nebeneinander mit gesenktem Kopf, fraßen kein Gras mehr und sahen jämmerlich aus. Das war von einem Tag auf den anderen geschehen.
Nie würde ich eins meiner anderen Pferde in diesen Stall geben! Das stand da sofort fest!
Dem Entschluss bin ich auch treu geblieben!

Im Herbst geben die meisten Stallbetreiber allen Pferden Wurmkuren, damit sie sich nicht gegenseitig auf der Weide anstecken, es wurde dort nämlich nie abgeäppelt.
- Auf meiner Weide standen nur meine Beiden und ich habe regelmäßig alle fünf Tage, später täglich, die Haufen eingesammelt. Ich habe niemals konventionelle Wurmkuren gegeben. Das wirkt wie Chemotherapie. Man kann sehr gut mit Abrotanum D1 über einige Tage gegeben, auskommen, es treibt die Würmer aus. Aber auch das gab ich nur bei nachgewiesenem Befall. Sonst habe ich darauf verzichtet. -

Ebenso wurden sie nie geimpft: sie waren nie krank, wenn die anderen Nachbarpferde in der Stallgasse gehustet haben oder Pilzbefall oder Herpes ect. hatten.
Aber in Falks Stall konnte ich mich nicht dagegen wehren, der Besitzer traf seine Entscheidungen allein.
Die Folgen waren wieder dramatisch: Falks Partnerstute hatte nach der Wurmkur einen Kreislaufkollaps (das war in der Vergangenheit auch schon öfter danach aufgetreten), sie wurde in der Stallgasse vor seinen Augen eingeschläfert und hinausgezogen!

Jetzt baute er total ab, er verlor sein Fell an Bauch und Rücken, kratzte sich wund und konnte kaum noch stehen. Nach zwei Monaten begann er umzufallen.
Ich wurde endlich geholt und die Frage, ob er noch leben wolle, hat er deutlich verneint, worauf wir ihn dann auch erlöst haben.
Ich bin felsenfest davon überzeugt, dass sein Lebensende ganz anders verlaufen wäre, wenn damals nicht diese unqualifizierte Frau die Stute reingeholt hätte. Das war sein Ende! Seine Seele hat sich von dieser Schmach, „seine“ Stute nicht mehr verteidigen zu können, nie mehr erholt. So erleben es die Tiere in der Wildnis ebenfalls. Wenn der Rudelführer zu schwach wird, muss er Platz machen und wird von Wildtieren gerissen oder verendet im Gebüsch.

Getröstet hat uns der Gedanke, dass ein fast 28 jähriges Pferd eine Seltenheit ist und wir ihm so lange wie möglich sein Leben gelassen haben. Leider sehen die meisten Menschen Pferde als lebendige Sachen, die entsorgt werden, sobald sie nicht mehr richtig funktionieren, oder sogar schon wenn sie keine Turniererfolge erzielen!
(Das Durchschnittsalter von Sportpferden liegt heute bei 8 Jahren...)
Geblieben sind schöne Erinnerungen, aufgenommen 1991

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